IV. Der Munitionsverbrauch im taktischen Rahmen an Hand von BeispielenUSA
Der Munitionsverbrauch im 2. Weltrkieg
V. Der Munitionsverbrauch bei den Gegnern Deutschlands
Rußland

Welche Anstrengungen Rußland selbst auf dem Gebiet der Rüstungsproduktion seit Beginn des 2. Weltkrieges unternommen hat und wie stark die Hilfe der Alliierten durch ihre Lie-ferungen an die Sowjetunion war, sagen die nüchternen Zahlen aus den Übersichten über den Vergleich der Rüstungsproduktion der kriegführenden Mächte.1)

Der Sowjetunion war es demnach gelungen, die Kapazität der eigenen Rüstungsindustrie in 2 Kriegsjahren um rund 70% zu steigern. Die Hilfsleistungen, die auf Grund der Verein-barungen des Lend-Lease-Vertrages am 1.10.1941 durch die USA aufgenommen wurden, von Seiten Großbritanniens aber bereits seit Juli 1941 liefen, ergaben in der Zusammen-fassung nachstehende Zahlen:

  Britische Lieferungen U.S. Hilfsprogramm+)
1. Schiffe   2.660 (davon 77
versenkt)
2. Gesamtladung von t:   16 1/2 Mill. t (da-
von 15 Mill. t Be-
stimmungsort er-
reicht)
u.a. Juli 41 Okt. 41 1942  
1. Erdöl-Benzin   24.900 t1) 69.483 t1) 2.5 Mill. t
2. Munition   86.972 t1) 614.664 t1)  
3. Flugzeuge 220 493    
4. Panzer   4802) 3.2761) 13.000
5. MG       135.000
6. LKW       427.284
7. Motorräder       35.170
8. Jeeps       50.000
9. Lokomotiven       1.045
10. Güterflachwagen       7.164
11. Gummi 20.000 t      
12. Armeestiefel 2 - 3 Mill.     11 Mill.
13. Baumwolltuch       90 Mill. Meter
14. Aluminium       420.000 t
15. Stahl für Eisenbahnsch.       2,120.00 t
16. Leichtmetall       733.000
+) vom 1.10.1941 - 31.5.1945 1) einschl. d. amerik. Lieferungen
      2) einschl. le. Schützenwagen
     

2)

Ob es jemals möglich sein wird, den Munitionsverbrauch der Sowjetarmee während der 4 Jahre, 1941 - 1945, in seinen Gesamtumfang annähernd der Wirklichkeit entsprechend festzustellen, ist auf Grund der heutigen Forschungsmöglichkeiten nicht zu sagen. Bei der derzeitigen Spannung zwischen Ost und West und der in vielen Bereichen völligen Ab-schließung des Ostens von den übrigen Völkern, die sich nicht den ideologischen Grund-sätzen und Zielen der Sowjetunition anschlies-sen – im europäischen Bereich durch den "Eisernen Vorhang" sichtbar und fühlbar ausgeprägt – ist die Zeit und die Möglichkeit für eine ernste und objektive Forschung in keiner Weise abzusehen.

Soweit bruchstückweise Quellen eine Verschuß auf Seite der Roten Armee im 2. Weltkrieg angeben, seien sie hier angeführt.

Der russische Generalmajor A.N. Lagowski hat in einer Studie die Wechselbeziehungen von Strategie und Ökonomie, also der militärischen Notwendigkeiten und der wirtschaftli-chen und industriellen Möglichkeiten aus sowjetischem Gesichtswinkel im 2. Weltkrieg be-handelt.3) Er zeigt die Schwierigkeiten auf, die sich durch den raschen Vormarsch der deutschen Truppen und die Besetzung weiter Teile des europäischen Rußland eingetreten sind. Es mußten z.B. 303 sowjetische Munitionsbetriebe weit nach Osten verlagert wer-den. Durch die hohen Materialverluste der Roten Armee zu Beginn des Krieges war es Rußland sehr schwer, neue Truppen aufzustellen und auszurüsten. Um wirksame Kräfte für militärische Gegenmaßnahmen bilden zu können, benötigte man Zeit.4)

Ende 1941 war es erstmals möglich, bei Moskau den Deutschen Halt zu gebieten, dann erst wieder im November 1942 bei Stalingrad und im Juli 1943 bei Kursk. In der Folgezeit wurden die operativen Pausen durch die immer günstiger werdenden Liefermöglichkeiten der sowjetischen Kriegsindustrie immer kürzer.5) Nach amerikanischem Muster schildert Generalmajor Lagowski die Zunahme der Anzahl und der Feuerwirkung der Waffen einer sowjetischen Schützendivision im Verlauf der Kriegsmonate und sagt, daß sich die Anzahl der Schüsse, die von den Schützenwaffen und Maschinengewehren (Flachfeuer) einer Division je Minute abgegeben werden konnten, von 235.000 Schuß Mitte 1943 auf 491.000 Schuß Ende 1944 erhöht hätte. Das Gesamtgewicht einer Salve der Steilfeuer-waffen der Division (Artillerie und Granatwerfer) hätte sich von 1.100 kg auf 1.590 kg erhöht, was letzten Endes ausschlaggebend für das Angriffstempo und den Kampferfolg der Sowjettruppen geworden wäre.6)

Eine Schweizer Quelle unternimmt den Versuch, aus einigen Angaben sowjetischer militä-rischer Fachzeitschriften und Zeitungsartikel Gesamtverschußzahlener sowjetischen Artil-lerie, einschließlich von Infanteriegeschützen, Pak und schweren Infanteriewaffen, in ein Verhältnis zu der Anzahl der im Einsatz gestandenen Rohre zu bringen und den Verschuß in Prozenten eines Munitionskampfsatzes, bei uns einer ersten Munitionsausstattung, zu berechnen.7) Es wird festgestellt, daß die sowjetische Industrie im 2. Weltkrieg 775 Milli-onen Artillerie- und Granatwerfergeschoße aller Kaliber produziert und an die Rote Armee abgeliefert hat.

Der Verfasser hat die Richtigkeit und Glaubwürdigkeit dieser Zahl über den Gesamtver-brauch an Munition für Steilfeuerwaffen der Sowjetarmee an Hand der Publikation von Generalmajor Logowski überprüft. Dieser gibt an, die Sowjetarmee hätte im "Großen Va-terländischen Krieg" im Monatsdurchschnitt etwa 17 Millionen Granaten aller Kaliber ver-schossen.8)

Die Berechnung ergibt daher für insgesamt 47 Kriegsmonate von 1941 bis 1945 eine Zahl von 799 Millionen Granaten. Eine Aufstellung der jahresdurchschnittlichen Produktion von Waffen und Munition im 1. und 2. Weltkrieg gibt in der gleichen Quelle 193.9 Millionen Ar-tilleriegranaten an, was wieder eine Endzahl von rund 775 Millionen Stück ergibt.9) (AN-LAGE 27)

Aus einer russischen Quelle10) schöpft Galay, daß die Anzahl der reinen Artilleriegeschoße aller Kaliber und aller Typen 8.2 mal größer war als im 1. Weltkrieg, wo diese Zahl 57,209.000 Artilleriegeschoße betragen hätte.11) Demnach schließt er, daß die Sowjet-armee im 2. Weltkrieg 1941 bis 1945 etwa 456 Artilleriegeschoße aller Art und etwa 320 Mill. Granatwerfergeschoße erhalten hat. Diese Zahlen entsprechen bei ihrer Gegenüber-stellung zu der Anzahl der Geschütze und Granatwerfer der gesamten Sowjetarmee (AN-LAGE 28, Stichtag 1. April 1945) nur 30 Munitionssätzen für Geschütze und 35 Munitions-sätzen für Granatwerfer auf der Basis des Jahres 1945. Da die Anzahl der Geschütze aber zu Beginn des Krieges geringer war, als zu Kriegsende, war selbstverständlich dadurch auch eine höhere Zahl von Munitionssätzen verfügbar. Aus der einfachen Berechnung, daß im Jahre 1944, dem Jahr der größten Offensiven der Roten Armee, nach offiziellen sowjetischen Angaben eine Munitionserzeugung von 240 Millionen Geschoßen bestand und von dieser Zahl 5 bis 7 Millionen Fliegerbomben abgesetzt werden müßten, ergibt sich ein Jahresbestand von weniger als 10 Munitionssätzen je Rohr. Dies läßt die im Laufe des Krieges von deutscher Seite aus oft beobachtete Unfähigkeit der russischen Artillerie zu einem wirkungsvollen Einsatz, bzw. nur zu einem schwergewichtsmäßigen Einsatz von Steilfeuerwaffen vor Großangriffen erklärlich erschienen.

Auf Grund dieser Unterlagen berechnet Hauptmann Galay für das Jahr 1944 eine durch-schnittliche Schußzahl von 1.200 Schuß pro Rohr und schließt die Annahme, daß der durchschnittliche Munitionsverbrauch im ganzen 2. Weltkrieg auf sowjetischer Seite 3.000 Schuß pro Rohr nicht überstiegen hat. In Moskau sei ein 12.2 cm Geschütz ausgestellt, das 5.050 Schuß abgegeben hat und daher als eine besondere Rarität gilt, was eigentlich eine Bestätigung der angeführten Berechnungen und Schlüsse darstellt.

Daß die russische Führung an den Stellen, wo sie einen Angriff und operativen Durch-bruch durch die deutschen Stellungen plante, stets mit starken artilleristischen Schwer-gewichten und großem Munitionseinsatz gearbeitet hat, kann jeder Soldat bezeugen, der an den Brennpunkten der Kämpfe im 2. Weltkrieg im Osten eingesetzt war. Nach russi-schen Angaben hätte bei Beginn der Gegenoffensiven der Roten Armee am 19./20.11. 1942 eine Überlegenheit an Truppen, Geschützen, Granatwerfern und Panzern an der "Südwestfront" im Durchschnitt von 2 : 1 (bei Granatwerfern sogar 3.4 : 1) und an der "Stalingradfront" von 3 : 1 gegenüber den Stärken der Deutschen und ihnen verbündeten Truppen bestanden.12) Eine von Hauptmann Galay benützte russische Quelle13) hat für einzelne Operationen der Jahre 1943 bis 1945 die Zahlen pro Frontkilometer eingesetzten Rohre festgestellt:

Bei der Kursker Operation (1943) kamen 290 Rohre auf 1 km.
Bei der Karelischen Operation (1944) 220 Rohre auf 1 km.
Bei der Bobruysk-Operation (1944) 250 Rohre auf 1 km.
Bei der Yassi-Kishinev-Operation (1944) 250 Rohre auf 1 km.
Bei Baranov und Berlin (1945) 600 Rohre auf 1 km.14)

Diese Zahlen sind wohl unter Einbeziehung der schweren Infanteriewaffen (Pak, Infante-riegeschütze und Granatwerfer) zu verstehen. Normalerweise betrug der Anteil der Divi-sionsartillerie der Russen an der Gesamtzahl der Rohre nur etwa 12%, derjenige der In-fanteriegeschütze und Pak etwa 25% und jener der restlichen schweren Infanteriewaffen etwa 64%. Bei großen Operationen wie den oben aufgeführten verschob sich allerdings das Verhältnis zugunsten der Artillerie durch den Einsatz von Armeeartillerie.

Waffenausstattung einer sowjetischen Schützendivision:
Divisionsartillerie: Schwere Infanteriewaffen:
20 Kanonen 76 mm
(12 in Garde-Schützendiv.)
12 Infanteriegeschütze 76 mm
12 Haubitzen 122 mm 48 Pak 45 bis 57 mm
  21 Granatwerfer 120 mm
(24 in Garde-Schützendiv.)
  83 Granatwerfer 82 mm
(85 in Garde-Schützendiv.)
  56 Granatwerfer 50 mm
(ab 1944 Ersatz durch 82 mm)
32/36 Geschütze 220/225 Geschütze/Granatwerfer15)

Hier ist noch eine Feststellung interessant, die sich auf offizielle Angaben von Stalin, Vosznesenskiy und anderen sowjetischen Quellen beruft. Die russische Produktion betrug jährlich etwa 120.000 Geschütze und 100.000 Granatwerfer, also eine volle Ausstattung der Sowjetarmee.16) Dies war deshalb erforderlich, weil die schlechte Qualität des Ge-schütz- und Granatwerfermaterials durchschnittlich nur einen Einsatz bis zu 1.000 Schuß pro Rohr aushielt. Auch die Art der Munition, durch Verwendung harter Metalle bei den Führungsringen, setzte die Verwendungsdauer so herab, daß praktisch jedes Jahr die ge-samte Ausrüstung der Roten Armee an Geschützen und Granatwerfern erneuert werden mußte.

In einer Reihe von Beispielen wird nachgewiesen, daß die Masse der Munition von der Ro-ten Armee schon beim Vorbereitungsfeuer verschossen wurde. Überlicherweise wurde hierfür je nach Stärke der gegnerischen Stellungen ein halber bis ein ganzer Kampfsatz freigegeben.17)

Die Berechnung der Schußzahlen im einzelnen stößt insofern auf Schwierigkeiten oder er-gibt ein unreales Bild, weil in dem Artilleriefeuerplan der Russen alle schweren Infanterie-waffen einbezogen waren. Die hohe Rohranzahl, die aus diesem Grund sich daher immer auf verhältnismäßig kurze Frontstrecken rechnerisch, ergibt, weist auch bei großen Kon-zentrationen und einem hohen Gesamtverschuß nur sehr geringe Durchschnittswerte für den Munitionsverbrauch pro Rohr auf.

So ergibt sich eigentlich bei allen Beispielen im Angriff ein durchschnittlicher Verbrauch je Kampftag von 30 bis 40 Schuß pro Rohr, wobei auch die schweren Infanteriewaffen ent-halten sind. Bei Berechnungen, die sich nur auf Artilleriever-schuß beziehen, kommt ein Durchschnittsverbrauch von 60 bis 70 Schuß pro Rohr.18) Davon 2/3 für Kaliber bis 15.2 cm und 1/3 für Kaliber über 15.5 cm. Im Großkampf hat sich ausnahmsweise bei einer Sonderbrigade der 51. Armee im Kampf bei Kletowo (Weißrußland) Februar 1944 auch einmal ein Artillerieverschuß von durchschnittlich 128 Granaten je Rohr ergeben, dann war aber die gesamte eingesetzte Artillerie wegen Munitionsmangel 15 Stunden nicht mehr feuerbereit.

Zur Frage der Feuertaktik ist noch zu sagen, daß die Rote Armee rund 90% der Muniti-onsmenge für Vorbereitungsfeuer einsetzte und nur 10% für die weitere Unterstützung des Kampfes gegen eine 2. Feindstellung oder in der Tiefe des Kampffeldes. Nach gelun-genem Einbruch in die Feindstellung wurde aber auch einer kleinen Kampfeinheit bereits ein Geschütz mit meist nur wenig Munition mitgegeben, das, im direkten Schuß einge-setzt, eine bessere Wirkung und auch moralische Unterstützung ergab. Ein Drittel der gesamten russischen Artillerie soll zu solchem Einsatz in vorderster Linie befähigt und vor-gesehen gewesen sein. Vor einem Angriff waren immer 2 bis 3 Kampfsätze an Munition vorhanden, von denen rund ein Satz für das Vorbereitungsfeuer, wenn nötig noch ein weiteres Viertel bis zur Hälfte eine Kampfsatzes, zusätzlich von der Führung freigegeben wurde. Ein weiterer Kampfsatz war für den Kampf in der 2. Stellung und in der Tiefe der feindlichen Verteidigung vorgesehen. Mehr Munition stand meist nicht zu Verfügung, so daß artilleristische Unterstützung eines erzielten Ein- oder Durchbruches zunächst kaum mehr gegeben war.

In der Verteidigung hätte, errechnet die Schweizer Quelle, die russische Artillerie in zehn Tagen druchschnittlich 625 Schuß je Rohr verbraucht, täglich also 30 bis 110 Schuß (ohne Pak und Granatwerfer).19)

Bei der Beurteilung dieser Verschußzahlen der Roten Armee im 2. Weltkrieg muß man sich darüber klar sein, daß trotz dem hohen Verbrauch in einzelnen Kampfphasen der ständige Mangel an Munition eine volle Ausnutzung der Rohrleistung nicht ermöglicht hat, und daß die Unterstützungswünsche der Kampftruppe auch nicht in vollem Maße erfüllt werden konnten.

IV. Der Munitionsverbrauch im taktischen Rahmen an Hand von BeispielenUSA