AngriffVerfolgung
Der Munitionsverbrauch im 2. Weltrkieg
III. Beispiele der Munitionsverbrauches im
operativen Rahmen
Verteidigung

Für den Munitionsverbrauch in der Verteidigung während der Abwehrschlachten im Osten konnten aus den Unterlagen der Gruppe Munition OKH/GenQu. zwei Beispiele gefunden werden.

Das erste Beispiel gibt die Abwehrschlacht südlich Leningrad vom 12.1.1943 bis 28.2.1943. Die russische Kräfte griffen die Front der Heeresgruppe Nord im Raum Dem-jansk und südlich des Ladogasees ohne Unterbrechung mit starken, immer wieder neu he-rangeführten Truppen an, bis ihnen die Wiederherstellung der Landverbindung nach Lenin-grad gelang und im Laufe des Monats Februar 1943 die Heeresgruppe Nord gezwungen war, Absetzbewegungen aus dem Raum Demjansk einzuleiten. An diesen harten Abwehr-kämpfen waren 25 deutsche Divisionen südlich Leningrad beteiligt. Sie verbrauchten ins-gesamt 83.600 t Munition (186 Züge), was einen Tagesdurchschnitt von 1.742 t oder 70 t je Division ergibt. Der höchste Tagesverbrauch wurde am 37. Kampftag mit 2.690 t er-reicht.15)

Wenn auch aus den erhaltenen Zahlen des OKH/GenQu. keine genauen Einzelberechnun-gen für den Verbrauch der einzelnen Waffen gemacht werden können, so bestätigen sie doch im allgemeinen die Berechnungen des deutschen Generalstabs, der den täglichen Verbrauch an Munition in der Verteidigung gegen einen örtlich mit starken Kräften angrei-fenden Feind mit durchschnittlich 1/6 einer ersten Munitionsausstattung je Division an-gibt.16) Eine Übersicht über den Munitionseinsatz der vom Artilleriekommandeur 113 in diesen Kämpfen geführten Heeres- und Divisionsartillerie gibt Aufschluß über den artilleris-tischen Munitionsver-brauch.17) (ANLAGE 22) Der infanteristische Verschuß in der Verteidigung hält sich besonders hoch. Hier sei auch noch erwähnt, daß der damalige Sachbearbeiter und Leiter der Gruppe Munition im OKH/GenQu., Oberstleutnant i.G. Rutz, aus der Erinnerung mitteilte, daß zu diesem Zeitpunkt 2 deutsche Korps in der Abwehr der schweren Feindangriffe südlich Leningrad rund 75% der gesamten Munitionsaufbringung im Verlauf von zwei Monaten zugeführt erhalten und auch tatsächlich verschossen ha-be.18)

Das zweite Beispiel betrifft die große Abwehrschlacht bei Rshew (1.8.1942 bis 26.9.1942). Die Heeresgruppe Mitte stand in diesem Raum in schweren Abwehrkämpfen gegen massierte, mit starker Panzerunterstützung geführte feindliche Angriffe. Das OKH weist den Munitionsverbrauch von 23 an diesen Kämpfen beteiligten Divisionen mit insge-samt 50.144 t (111.5 Züge) aus. Die Härte der Kämpfe wird durch einen einzigen Tages-verbrauch von 1.365 t am 32. Kampftag ersichtlich. Für den ganzen Zeitraum ergibt sich für diesen Frontabschnitt ein Tagesdurchschnitt von 880 t, je Division daher 38 t.19)

Durch die gleichzeitigen Abwehrkämpfe bei Wjasma und bei der Heeresgruppe Nord im Raum südlich des Ilmensees trat an der ganzen Ostfront ein hoher Munitionsverbrauch ein. Die ANLAGE 14 zeigt den täglichen Munitionsverbrauch der zu diesem Zeitpunkt erst-malig im 2. Weltkrieg eine Gesamtzahl von fast 150.000 t im Monat erreicht. Er muß auch unter dem Gesichtswinkel der Angriffskämpfe der Heeresgruppe Süd nach Stalingrad beur-teilt werden.

Wie sehr die Angriffstaktik der ungeheueren Massierung von Kräften gegen Kriegsende von der russischen Führung immer mehr angewandt wurde, zeigen einige Angaben aus den Kämpfen am Weichselbrückenkopf Baranów.20)

In der am 12.1.1945 begonnenen Abwehrschlacht standen den drei in einer Front auf 60 km Breite eingesetzten deutschen Infanteriedivisionen21) russische Kräfte gegenüber, die ein Verhältnis der Artillerie einschließlich 12 cm Granatwerfer mit 1 : 20, Infanterie und Panzergrenadiere 1 : 9 und Panzer- und Sturmgeschütze 1 : 18 zugunsten der Roten Armee ergaben.

Auch der Munitionsaufwand dieser einander gegenüberstehenden Kräftegruppen mußte zwangsläufig ein ähnliches Verhältnis haben. Der deutsche Munitionsverbrauch wird mit 75.000 Schuß angegeben, der Feindverschuß am Angriffstag mit rund 400.000 Schuß ge-schätzt. Oberstleutnant Eike Middeldorf sagt zum Kräfteverhältnis:

"Besondere Beachtung verdient die 20fache Überzahl des Russen an Artillerie bei Bara-nów. Sie wird verständlich, wenn man den Ausspruch Stalins kennt: 'Die Kanone ist der Gott des Krieges'. Bei Baranów standen den Russen je Kilometer Angriffsfront 66 Geschüt-ze zur Verfügung, gegenüber 3.3 bei den Deutschen. Wenn also auf einer Gesamtfront-breite von 60 kmm 200 eigenen Geschützen rund 400 Feindrohre (einschließlich 12 cm Granatwerfer) gegenüberstanden und die Zahl der Infanteriedivisionen im Verhältnis 3 : 34 war, ist es nicht verwunderlich, wenn dem Feind mit dieser Übermacht bereits am ersten Tag ein operativer Durchbruch in ca. 25 km Breite gelungen ist."

In vielen historischen Darstellungen der Kämpfe in Stalingrad sind oft sehr ausführlich die Probleme der Kampfführung erörtert, die Probleme des Nachschubs und der Versor-gung aber selten angedeutet. Sicheres Zahlenmaterial über die Zuführung und den Ver-brauch von Versorgungsgütern der 6. Armee bis zu ihrer Einschließung ist nicht vorhan-den. Kampf und Durchhaltekraft eingekesselter Verbände hängt ausschlaggebend von den Möglichkeiten der Versorgung ab. Vor diese Probleme hat der 2. Weltkrieg im Laufe der Jahre des Rußlandfeldzuges wohl beide gegnerischen Heere gestellt.

Versuchen wir den Bestand der Munition bei der Truppe im Raum Stalingrad im November 1942 zu vergegenwärtigen, so sieht man, daß infolge der schwierigen und langen Weg-strecken und dem immer größeren Verbrauch gegen sich versteifenden Feindwiderstand eine Vorratsbildung bei der Truppe vereitelt wurde. Die Kämpfe zur Eroberung Stalingrads – ganz ist der Feind nie vom westlichen Wolgaufer in der Stadt selbst verdrängt worden – mußten daher munitionsmäßig wohl stets mit Aushilfen und von der Hand in den Mund geführt werden. Wie unzureichend der Nachschub von Munition im Kessel selbst ab Be-stehen der Luftbrücke war, zeigt die Übersicht der täglichen Einflugmengen. Die 6. Armee verlangte anfangs zu ihrer Versorgung eine Tagesleistung von 700 t Verpflegung, Muni-tion und Treibstoff, die Mindestforderung war 500 t. Die Luftwaffe hielt den Einflug von 300 t Nachschubgütern täglich für möglich.22) Tatsächlich belief sich der Tagesdurch-schnitt der Luftversorgung aber nur zwischen 60 und 105 t und erreichte in der Spitze in den Tagen vor Weihnachten 1942 137.7 t. Der Anteil der eingeflogenen Munitionsmenge liegt im Durchschnitt unter 1/3 dieser Werte. Erreichte das Munitionsgewicht im Dezember 1942 noch Werte von 20 bis 30 t täglich, so lag im Jänner 1943 der Durchschnitt schon unter 10 Tagestonnen23). Daß im letzten Abschnitt der Luftversorgung die Versorgungs-bomben oft nicht ihr Ziel ereichten und somit gar nicht in die Hände der Truppe kamen, ist auch noch zu bedenken. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Armee wiederholt melden mußte, daß ihre Kampfkraft mangels Munition und Betriebsstoff sowie sonstiger Versorgungsgüter so gelähmt sei, daß sie stärkeren Angriffen nicht mehr gewachsen sei.24)

Die Versorgung eines Kessels, ja nur einer auf sich selbst gestellten Kampfgruppe mit selbstständigem Kampfauftrag wird auch in zukünftigen Kriegen entscheidend für den Er-folg einer solchen Operation sein. Dafür rechtzeitig notwendige und ausreichende Vorsor-gen zu treffen, kann kriegsentscheidend sein.

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