II. Der Munitionsverbrauch im operativen RahmenVerteigung
Der Munitionsverbrauch im 2. Weltrkieg
III. Beispiele der Munitionsverbrauches im
operativen Rahmen
Angriff

Bei der Einnahme der seit September 1941 eingeschlossenen Stadt Sewastopol können wohl am eindrucksvollsten die Verhältnisse beim Angriff auf eine Festung dargelegt werden. Das deutsche Oberkommando setzte am 2. Juni 1942 die 11. Armee mit insge-samt 9 Divisionen zum Angriff an.1) Russischerseits sollen nach der Beurteilung von Ge-neralfeldmarschall Manstein annähernd gleich starke Kräfte die Festung verteidigt ha-ben.2)

Nicht nur aus taktischen, sondern auch aus Gründen eines sparsamen Munitionsverbrau-ches verzichtete die 11. Armee auf ein artilleristisches Trommelfeuer, von dem man sich im Verhältnis zum Munitionsaufwand eine zu geringe Wirkung versprach. Fünf Tage vor Angriffsbeginn wurde dieser durch Luftangriffe und Feuerüberfälle der Artillerie gegen die erkannten Unterkünfte feindlicher Reserven und Versorgungswege in der Festung vorbe-reitet. Durch planmäßiges, beobachtetes Niederkämpfen feindlicher Artillerie und ein Sturmreifschießen der vordersten Verteidigungsanlagen wurde der Gegner gelähmt. Als dann die Infanterie zum Angriff antrat, war schon die ganze Arbeit geleistet.3)

Das OKH/GenQu./Gruppe Munition hat den Gesamtverbrauch dieser 9 Angriffsverbände der 11. Armee für die gesamte Zeit der Operation vom 2.6.1942 bis 4.7.1942 mit insge-samt 46.467 t Munition festgehalten. Dieser Verbrauch von rund 103 Munitionszügen er-gibt einen Tagesdurchschnitt von 1.048 t, wobei der höchste Tagesverbrauch am ersten Angriffstag mit 3.939 t Munition verzeichnet wurde.4) In diesen Munitionsverbrauchszah-len ist die durch deutsche Flugzeuge abgeworfene Bombenlast nicht enthalten, da sie nicht in den Kompetenzbereich des Heeres fiel.

Wollen wir nun diese Verbrauchszahlen eingehend analysieren, so können wir feststellen, daß die deutschen Angriffsverbände, die gegen die Festung Sewastopol eingesetzten waren, rechnerisch einen Tagesdurchschnittsverbrauch von 157 t Munition hatten. Das ist mehr als 1/4 einer ersten Munitionsausstattung. Je nach Umfang und Ziel der Kämpfe ist der Verschuß an Munition mengenmäßig verschieden, was eine vorausschauende Mu-nitionsbevorratung nötig macht. Diese Überlegungen bestätigen daher den vom General-quartiermeister als Berechnungsgrundlage festgelegten täglichen Durchschnittsbedarf beim Angriff gegen befestigte Stellungen in Höhe von 1/2 bis 1/3 einer ersten Munitions-ausstattung der eingesetzten Divisionen.5)

Eine genaue Berechnung des Verschusses jeder einzelnen Waffe läßt sich auf Grund der unsicheren und lückenhaften Quellenlage der Waffenausstattungen, besonders von ein-gesetzten Sondereinheiten nur mit großer Ungenauigkeit machen.6) Einwandfrei kann aber festgestellt werden, daß die 11. Armee über mehr Geschütze als der Verteidiger der Fes-tung verfügte. Aus dem vorliegenden Material muß, da die Anzahl der in den Festungs-werken eingebauten Geschütze ebenfalls nicht bekannt ist, ein Verhältnis von rund 800 russischen zu 1.500 deutschen Geschützen angenommen werden. Das Verhältnis der Gra-natwerfer allerdings lag mit 1.600 zu 1.300 zu Gunsten der Russen.

Bei einem Artillerieverschuß von rund 80% des Gesamtverbrauches können wir einen Durchschnittsverbrauch von ca. 1.130 Schuß pro Rohr errechnen. Diese Zahl bleibt fiktiv, da nicht jedes Geschütz im Kampf die gleiche Schußzahl verschießt und die lange Zeit von mehr als 30 Tagen rechnungsmäßig einen zu geringen Durchschnitt ergibt. Es ist da-her sicher richtig, die von der Gruppe Munition des Generalquartiermeisters erstellten Un-terlagen über den Munitionsverbrauch der einzelnen Waffen beim Angriff gegen eine Fes-tung – die Zahlen fußen auf Verschußunterlagen von Sewastopol – als Basis für heutige Überlegungen zu nehmen. Diese Übersicht gibt z.B. einen Verschuß von 1.075 lFH Grana-ten und 1.230 sFH Granaten je Rohr in 10 Tagen für die direkt im Kampf stehenden Ver-bände.7)

Die Überlegenheit der russischen Kräfte in Abschnitten, in denen sie Angriffe mit operati-ven Durchbruchserfolgen planten, zeigt das Beispiel des deutschen Angriffs gegen starke Feindkräfte bei der Operation "Zitadelle".8) Die angestellten Untersuchungen haben ge-zeigt, daß die Russen den deutschen Verbänden allein artilleristisch mindestens im Ver-hältnis 1 : 2 überlegen waren, das sich im Bezug auf Granatwerfer sogar auf 1 : 5 zu-gunsten der Sowjetarmee erhöht hat. Einer Berechnung von Walter Görlitz zufolge hätten die Sowjets 290 Geschütze und Werfer je Frontkilometer eingesetzt.9) Auf deutscher Sei-te ergeben die Forschungen unter Einbeziehung der Granatwerfer nur ca. 40 bis 60 Rohre je Frontkilometer.10) Die deutsche Führung mußte daher alle Möglichkeiten ausschöpfen, die seit Monaten geplante, mehrfach verschobene Operation "Zitadelle" ausreichend mit Munition zu versorgen.

Das OKH/GenQu hat in seinen Aufzeichnungen über den Munitionsverbrauch der Operation "Zitadelle" vom 5. Juli 1943 bis 14. Juli 1943 einen Gesamtverbrauch von 49.622 t (110 Munitionszüge) festgestellt.11) Das bedeutet einen Tagesdurchschnitt von 4.969 t. Der höchste Tagesverbrauch am ersten Angriffstag ist mit 7.691 t ausgewiesen, das sind 208 t je Division bei einer Gesamtzahl von 37 beteiligten Divisionen.12)

Der Munitionsverbrauch hat also fast das Höchstmaß der für einen Angriff gegen starken Feind vorberechneten Höhe von 1/2 bis 1/3 einer ersten Ausstattung pro Tag erreicht.

Nach anfänglichen Erfolgen scheiterte die Angriffsoperation "Zitadelle" und die deutschen Truppen wurden infolge der anhaltenden starken Feindangriffe zur Aufgabe des Orelbo-gens gezwungen. Der Russe durchbrach im selben Monat die deutsche Abwehr an der Mius- und Donezfront und führte auch gegen die Heeresgruppe Nord schwere Angriffe. Der Munitionsverbrauch im Juli 1943 erreichte daher an der ganzen Ostfront erstmalig einen Tagesdurchschnitt von 7.642 t, insgesamt wurden in diesem Monat 236.915 t oder 526 Munitionszüge bei den Kämpfen im Osten verbraucht. (ANLAGE 21)

Wie unterschiedlich aber der Munitionsverbrauch im Angriff sein kann, zeigen die Zahlen bei der Wiedereinnahme von Charkow (12.2.43 bis 28.2.43). Die an dieser Operation beteiligten 6 Divisionen hatten einen Gesamtmunitionsverbrauch von 10.759 t (29 Muni-tionszüge). Die in dieser Zahl enthaltenen außerordentlich hohen Munitionsverluste, her-vorgerufen durch die wechselvollen Kämpfe, betragen fast die Hälfte, nämlich 5.280 t. Der Tagesdurchschnitt ist mit 322 t, der höchste Tagesverbrauch mit 453 t zu errech-nen. Je Division wurden also bei diesen Kämpfen täglich 75 t Munition verbraucht, es reichte bereits rund 1/5 einer ersten Munitionsausstattung je Division pro Tag aus, trotz starker russischer Gegenwehr Charkow wieder zu gewinnen.

Noch ein weiteres Angriffsbeispiel soll zeigen, daß unter besonderen Verhältnissen auch mit einem Minimum an Munition es deutschen Angriffsverbänden gelungen ist, den Feind zu schlagen. Beim Angriff auf Stalingrad vom 1.9.1942 bis 30.10.1942 müssen wir fest-stellen, daß die 6. Armee, die 4. rumänische Armee und die 4. deutsche Panzerarmee zwi-schen Don und Wolga ihren Auftrag, bei Stalingrad die Wolga zu erreichen, erfüllt haben. Schwere Versorgungskrisen und ein faktisch ständiger Munitionsmangel hat den Weg der Armeen gegen sich immer mehr versteifenden Feindwiderstand oft beschwerlich werden lassen.

In diesen zwei Monaten verbrauchten die 20 Stalingraddivisionen13) insgesamt 38.288 t Munition (85 Züge). Der Tagesdurchschnitt dieses Zeitraumes beträgt daher nur 638 t oder 32 t je Division. Der höchste Tagesverbrauch ist am 44. Kampftag mit rund 1.300 t Munition statistisch von der Gruppe Munition OKH/ GenQu. festgehalten.14)

Die Angriffsdivisionen haben sich also bei äußerster Sparsamkeit, bedingt durch den Mu-nitionsmangel, im Angriff mit einem Tagesdurchschnitt von weit weniger als 1/10 einer ersten Munitionsausstattung durchgesetzt. Diese niedrige Zahl ist zweifellos eine Ausnah-me, sie kommt schon dem Munitionsverbrauch bei der Verfolgung eines Gegners gleich. Infolge der verhältnismäßig langen Zeit von zwei Monaten, die Überblickt werden, wird das ins einzelne gehende Bild eines Munitionsverbrauchs verwischt, sodaß auch eine Be-rechnung des rohrmäßigen Verschusses nur eine rein fiktive Zahl ohne Wirklichkeitswert ergeben kann.

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