I. EinführungDie Dienststelle des Generalquartiermeisters des Heeres
Der Munitionsverbrauch im 2. Weltrkieg
I. Einführung
Die deutsche Rüstung und Kriegsproduktion bis 1941

Der Zusammenbruch des Jahres 1918 wirkte sich nicht nur auf politische und militäri-schem Gebiet, sondern ganz besonders auf die deutsche Wirtschaft aus. Der Wiederauf-bau der Erzeugungskraft der deutschen Industrie ging, obwohl von verschiedenen Kompo-nenten begünstigt (Inflation und Verbrauchsbegrenzung), nur langsam vor sich. Es dauer-te etwa 10 Jahre bis nach dem Zusammenbruch von 1918 der Vorkriegsstand der indus-triellen Erzeugung in Deutschland wieder erreicht wurde. Es ist selbstverständlich, daß auch in dieser Zeit, wo der militärischen Kraftentfaltung durch die Friedensverträge genau festgelegte Grenzen gegeben waren, die Produktion von Kriegsgerät und militärischer Ausrüstung auf ein im Hinblick auf die Gesamtproduktion kaum ins Gewicht fallendes Maß beschränkt blieb. Selbst die politische Entwicklung der Jahre 1932 bis 1936 hat darin noch keine fühlbare Änderung gebracht. Die Ausgaben für Rüstung und Wehrmacht im Reichshaushalt blieben unter dem Betrag von 2 Milliarden Reichsmark pro Jahr, sie beliefen sich daher nur auf rund 4% des damaligen Volkseinkommens der Deutschen.1)

Erst die Aufrüstung, die Deutschland ab 1936 zur Erreichung seiner politischen Ziele be-trieb, hatte Rückwirkungen auf die deutsche Industrieproduktion. Die Ausgaben für Rüs-tung und Wehrmacht im Reichshaushalt stiegen in dieser Zeit beträchtlich an. Sie betru-gen 1936/37 schon 5.8 Milliarden Reichsmark oder 9% des Volkseinkommens, 1938/39 aber schon 18.4 Milliarden Reichsmark oder 22% des Volkseinkommens, bzw 58 vH der Gesamtausgaben.2) Daß eine derartige Steigerung der Ausgaben für Zwecke der Wehr-macht wohl eine bedeutende Stärkung des militärischen Sektors bedeutete, aber keines-wegs als zielbewußte Vorbereitung und Rüstung zu einem neuen Krieg zu werten ist, wird jeder Fachmann zugestehen.

Es ist in deisem Zusammenhang weiteres festzustellen, daß die deutsche politische Füh-rung das allmähliche Anlaufen einer Rüstungsproduktion zum Anlaß nahm, durch bewußte Übertreibungen der Welt gegenüber das Bild einer großen militärischen Stärke vorzutäu-schen. Die Überlegenheit Deutschlands lag bei Kriegsbeginn 1939 darin, daß es gegenüber seinen ersten Gegnern Polen und Frankreich immerhin über modernes Kriegsmaterial ver-fügte, das sich gegen das veraltete der Gegner in den kruzen, rasche Entscheidungen suchenden Feldzügen erfolgreich durchsetzte.

Obwohl die Rüstungskapazität gegenüber den Jahren nach dem ersten Weltkrieg sich be-deutend vergrößert hatte, war Deutschland aber doch keineswegs in der Lage, einen lan-ge dauernden Krieg durchzustehen, ohne Gefahr zu laufen, selbst von einem Gegner mit materiell und völkischer Gleichwertigkeit auf die Dauer übertroffen zu werden.

Wenn man die Munitionsproduktion nach dem ersten Weltkrieg bis 1939 betrachtet, so war sie bis zum Jahre 1936 praktisch so unbedeutend und von den Siegermächten an-fangs kontrolliert, daß sie kaum in der Lage war, den Bedarf des 100.000 Mann-Heeres zu decken. Auch mit der Vergrößerung der deutschen Wehrmacht bis zum Jahre 1939 konnte die Produktion kaum Schritt halten.

Die deutschen Angriffsarmeen überschritten am 1. September 1939 die polnische Grenze und verfügten teilweise nur über eine in einzelnen Munitionsarten nicht einmal volle erste Munitionsausstattung.3) Auch die im Frühjahr 1940 folgenden Feldzüge gegen Norwegen und Frankreich wiesen im Munitionsverbrauch noch keine solche Zahlen auf, die Rückwir-kungen auf die Produktion gehabt hätten. Die Kürze der militärischen Kampfhandlungen und die Überlegenheit der deutschen Waffen, – unter anderem die erstmalige Anwendung von Hafthohlladungen gegen ständige Befestigungsanlagen wie beim Fort Eben Emael – führten die deutschen Truppen zum Sieg, und sie ließen auch infolge eines engen Ver-kehrs- und Straßennetzes die Munitionsversorgung nie zu einem ernsten Problem werden. Es ist daher nicht verwunderlich, daß im Verlauf des Jahres 1940 nich eine von höchster Stelle befohlene und ausdrücklich verkündete Drosselung der Munitionsherstellung erfolg-te.4)

Dem Wirtschaftsfachmann ist klar, daß in der industriellen Produktion der Hebel nicht in Minutenschnelle herumgeworfen werden kann. Jede Serienherstellung braucht ihre Anlauf-zeit, und es wird erhebliche Zeit vergehen, bis ein fühlbarer und ausreichender Produk-tionsausstoß vorhanden ist. Wenn im Jahre 1940 der Munitionerzeugung nach dem Rüs-tungsindex des Planungsamtes noch 40.9% der deutschen Rüstungsendfertigung zukam, so war dieser Prozentsatz im Jahre 1941 infolge der bereits erwähnten Beschränkungs-maßnahmen nur mehr 25.3%.5) Dieser Rückgang wirkte sich bis in das Jahr 1942 aus, und erst ab Mitte dieses Jahres, wo die deutsche Armee schon fast seit Jahresfrist auf einer mehr als 2000 km langen Front, viele hunderte Kilometer von der deutschen Ost-front entfernt, im tiefsten Rußland kämpften, konnte eine fühlbare Besserung des Muni-tionsausstoßes der deutschen Industrie verzeichnet werden (ANLAGE 2).

Es ist, von der heutigen Warte aus gesehen, kaum glaublich feststellen zu müssen, daß die Indexziffer der Rüstungsendfertigung, die 1940 als Ausgangsbasis 100 nimmt, im Jahre 1941 um kaum mehr als 1% anstieg.6) Ein klarer Beweis dafür, wie wenig militärische und wirtschaftliche Planung aufeinander abgestimmt waren.

Mit wie geringer Voraussicht und wie unvorbereitet Deutschland 1941 auf dem Gebiet der Rüstungsproduktion in den Krieg mit Rußland eintrat, hat Dr. Wagenführ so eindrucksvoll dargelegt, daß er hier wörtlich zitiert sei:

"Was will es besagen, daß in einer einmaligen Anstrengung z.B. monatlich 50 bis 60 schwere Feldhaubitzen abgeliefert wurden, wenn Ende 1941 der Ausstoß auf 10 je Monat sank? Entsprechendes gilt auch für die leichte Feldhaubitze (April 1941: 140 Stück, De-zember 1941: 21 Stück).

Nicht anders das Bild bei der Munition:

Gliederung der Munitionserzeugung 1941
Anteile in vH.

Monat Leichte
Inf.
Munition
Schwere
Inf.
Munition
KwK
Munition
Artl. u.
Werfer
Munition
Flak
Munition
Abwurf
Munition
             
Jänner 6 6 5 27 20 24
Juni 5 4 5 15 27 24
Dezember 3 3 5 7 36 28
             

Das anteilmäßig starke Vordringen der Flakmunition war für den Feldzug im Osten ohne nennenswerte Bedeutung.

Die deutsche Munitionserzeugung vor und nach
Beginn des Rußlandfeldzuges

Art

Maximum
erreicht 1941

Stand
Dez.
1941

Voraufgegangenes
Maxium wieder
erreicht nach
.... Monaten

in Mill. RM

Leichte Infanteriemunition April

12.9

6.3

15

schwere Infanteriemunition Febr.

12.8

6.9

13

Kampfwagenkanonenmunition Dez.

11.7

11.7

––

Artilleriemunition Febr.

69.1

15.7

15

Flakmunition Nov.

89.4

77.3

20

Minen, Handgranaten Febr.

7.8

2.4

13

Bordwaffenmunition Sept.

20.7

17.0

9

Gesamt Aug.

112.3

96.9

7

Je mehr man sich in die Einzelheiten der Munitionsfertigung vertieft, um so stärker tirtt die Unterschätzung des Bedarfs zutage: Infanterie-Patronen Januar 1941 rund 100 Mill. Schuß, Dezember 50 Mill.; Sprenggranaten für die leichte Feldhaubitze: Februar 1941 rund 700.000 Schuß, Dezember 90.000 Schuß usw.

Die Folgen dieser Entwicklung waren nur zu rasch erkennbar: Zum erstenmal seit Beginn des Krieges ergeben sich stärkere Rückgänge in den Beständen an wichtigen Waffen- und Munitionsarten (nach Unterlagen des Planungsamtes), weil die Ausfälle im Ostfeldzug weit größer waren als man vorher angenommen hatte. Hierfür nur zwei Beispiele: Die Bestände an leichter und schwerer Artillerie hatten im Juni 1941 einen Höchststand erreicht. Von Juli bis November war der Frontverbrauch etwa ebenso groß wie die Produk-tion; im Dezember 1941 und im Jänner 1942 ging aber der Frontverbrauch weit über die laufende Erzeugung hinaus. Noch entscheidender war der Abfall der Bestände an Artille-riemunition. Hier setzte binnen neun Monaten, vom Juni 1941 bis März 1942, ein so star-ker Entzug ein, daß der Munitionsbestand auf ein Drittel sank. Damit wurde die Kampfkraft der deutschen Artillerie entscheidend beeinträchtigt ...7)

Die militärische Entwicklung in dieser Zeit sei kurz in die Erinnerung zurückgerufen: Nicht gelungene Einkesselung Moskaus, ungewöhnlich hart und früh einsetzender Winter, Ab-bruch der deutschen Angriffsoperationen Anfang Dezember, pausenlose Angriffe der sow-jetischen Truppen während der folgenden fünf Monate, erhebliche Frontzurücknahmen.

Und aus der Ferne kündigte sich eine weitere Zuspitzung der Lage an: Herbst 1941 er-reicht die amerikanische Rüstungsproduktion zum erstenmal den Stand der deutschen. Daneben ein weiteres: Bei Stagnieren der deutschen Rüstungsproduktion von 1940 auf 1941 hat sich nach Goldsmith die der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und der Sow-jetunion im gleichen Zeitraum fast verdoppelt.

Die Rüstungsproduktion der großen Mächte
1940/41+) in Mrd $; Preise des Jahres 1944:

Land 1940 1941 1943
       
Vereinigte Staaten von Amerika 1.5 4.5

37.5

Großbritannien 3.5 6.5

11.1

UdSSR 5.0 8.5

13.9

Zusammen:

10.0

19.5

62.5

       
dagegen:      
Deutschland 6.0 6.0

13.8

Japan 1.0 2.0

4.5

Zusammen 7.0 8.0

18.3

Verhältnis   1 : 2.4 1 : 3.4

Deutschland und Japan erreichten 1940 noch etwa 70 vH der Rüstungsproduktion der ge-nannten drei Großmächte – 1941 waren es nur noch gut 40 vH. Goldsmith bemerkt hierzu: "Daß diese vorsätzlich langsame Ausdehnung der (deutschen) Rüstungsproduktion, die sich während der meisten Zeit des Jahres 1941 eigentlich gleichblieb, der größte Fehler war, den Deutschland im Bereiche der Kriegswirtschaft machte, und eben jener, der es jede Chance auf den Sieg kostete, ist jetzt klar."8)

I. EinführungDie Dienststelle des Generalquartiermeisters des Heeres