Betrachtungen über Geschoßzerlegungen |
Theoretische und praktische Betrachtungen über die Geschoßzerlegung |
Folgerungen für
das Schießen zur Verbesserung der Geschoßwirkung. |
(vgl. auch: Splitterwirkung der Sprenggranaten D 498) |
Es ist für den Artilleristen von großem Wert, eingehende Überlegungen über die Art der Geschoßzerlegung zunächst an Hand theoretischer Betrachtungen anzustellen und sich dann durch praktische Versuche davon zu überzeugen, wieweit Therorie und Praxis über-einstimmen. Erst wenn er dies getan hat, wird er zu seinem Geschoß und der Wirkung sei-ner Waffe das nötige Vertrauen und die richtigen Folgerungen ziehen, deren Erkenntnis beim Schießen unbedingt notwendig ist, um die Artilleriewaffe mit dem höchsten Wir-kungsgrad einsetzen zu können. |
Moderne Artilleriegeschosse sind Langgeschosse, die infolge der gestreckten Geschoßform eine ganz besondere Art der Zerlegung aufweisen. In Bild 1 und 2 ist eine Geschoßnach-bildung festgehalten, bei der durch eingetriebene Nägel die Richtung der abfliegenden Ge-schoßsplitter und deren mengenmäßiger Anteil bei der Detonation eines Geschosses zur Darstellung gebracht wird. Das Modell in dieser Form wird kurz »Geschoßigel« genannt. |
Wir betrachten zunächst die Wirkung bei kleinem Fallwinkel (36¯, etwa 2°) (Bild 1) und denken uns das Geschoß in seinem Fluge in dem Augenblick abgefangen, in dem es gera-de mit der Zünderspitze aufsetzt, ohne daß diese in die Erde eingedrungen ist. Aus Bild 1 wird ohne weiteres klar, daß bei diesem kleinen Fallwinkel die unteren Teile des Geschos-ses schon etwas in die Erde eingedrungen sein müssen, da die Zünderspitze um rd. ein halbes Kaliber höher liegt als der tiefste Punkt der Geschoßwand. Aus der Betrachtung der Nägel des Geschoßigels geht weiter hervor, daß die Splitter der gesamen unteren Partie des Geschosses (Reihe 1 bis 3) nutzlos in den Boden hineingehen, ohne daß es eine Möglichkeit gibt, diese Splitterteile zur Wirkung heranzuziehen. Die Geschoßteile, die durch die horizontal liegenden Nagelreihen (etwa Reihe 4 und 8) dargestellt sind, werden gute Wirkung bringen. Die Anfangsbreite der Seitengarbe dieser Geschoßsplitter ist sehr gering. Maximal ereicht sie die Länge des Geschosses, wie aus der Darstellung des Bildes 1 ersichtlich ist. Der Öffnungswinkel der Seitengarbe ist verhältnismäßig klein, d.h. die Hauptwirkung wird nur seitlich des Geschosses liegen. Die darüberliegenden Partien (Reihe 5 bis 7) fliegen nach oben ab, gehen also auch für die Wirkung völlig verloren; sie können höchstens als matte Treffer wieder zur Erde zurückfallen und werden im allgemeinen be-reits durch die Schutzwirkung des Stahlhelms oder der Bekleidung und Ausrüstung gänz-lich wirkungslos bleiben. Nach vorn bzw. nach rückwärts (angedeutet durch einen Nagel »Mitte 1« und »Mitte 2«) werden sich nur wenige Splitter an der Wirkung beteiligen. |
Stellt man dieselben Betrachtungen an Hand des Geschoßigels (Bild 2) an, indem man sich das einschlagende Geschoß mit einem Fallwinkel von etwa 1100¯ (60°) und mehr vor-stellt, so sieht man zunächst, daß sich das gesamte Geschoß oberhalb der Erdoberfläche befindet, wenn es mit der Zünderspitze auftrifft, und daß die Geschoßteile, die bisher wir-kungslos in die Erde (Reihe 1 bis 3) gingen, setzt bis zu einem gewissen Grade nach rück-wärts wirksam werden, und zwar um so mehr, je steiler der Fallwinkel ist. Die Seitenpar-tien (Bild 4 und 5), die bei 36¯ (2°) Fallwinkel als allein wirksam geschildert wurden, wer-den nach wie vor wirksam bleiben, ja die Wirkung wird nicht unwesentlich steigen, da die im vorderen Absatz geschilderte Seitengarbe nicht mehr senkrecht zur Erdoberfläche, sondern beinahe gleichlaufend zu ihr steht und dadurch einen viel breiteren Raum deckt. Die nach oben gerichteten Partien (Reihe 5 bis 7), die bei dem kleinen Fallwinkel auch nach oben abfliegen und ohne Wirkung sind, beteiligen sich nach vorwärts an der Wir-kung, und zwar um so mehr, je steiler der Fallwinkel ist. Bei 1600¯ (90°) Fallwinkel (Bom-benwurf) zeigt die theoretische Betrachtung an Hand des Igels, daß die Geschoßwirkung am besten ausgenutzt ist, da sich die gesamten Splitter strahlenförmig über die Erde ausbreiten, und nur die verhältnismäßig wenigen Kopf- und Bodenteile wirkungslos blei-ben. |
Diese theoretischen Betrachtungen sind auf zweierlei Art nachgeprüft und die Überein-stimmung mit der Praxis, d.h. beim Schuß; ist nahezu bestätigt worden: |
Bei der ersten Versuchsserie wurden scharfe Geschosse – im Geschoßflug abgefangen gedacht – durch elektrische Zünder gesprengt, indem man die Geschosse auf den Zünder aufstellte, ohne diesen in die Erde einzudrücken, und der Geschoßlängsachse eine Nei-gung von 36¯ (2°) (Bild 3 bis 5), im anderen Falle eine Neigung von 1240¯ (70°) gegen die Erdoberflächse (Bild 6 bis 8) gab. Die nähere Versuchsanordnung war folgende: |
Zwei senkrechte und miteinander gleichlaufende Fangscheiben a und b sind 3 m ausein-anderstehend aufgebaut (Bild 3 bis 8). Etwa vor der Mitte der vorderen Fangscheibe »a« mit 4 m Abstand ist das im Geschoßflug angehalten gedachte Geschoß mit scharfer Sprengladung so aufgestellt, daß es mit seiner Längsachse gleichlaufend zu den Scheiben steht. In dieser Lage erfolgten die Sprengungen. Es zeigt sich, daß die schmale Geschoß-garbe tatsächlich auftritt. In Bild 3 wird deutlich sichtbar, daß von der Sprengstelle (St) ausgehend im wesentlichen nur die Scheibenbahnen »2 und 3« in schmalem Winkel ge-troffen sind. Der Öffnungswinkel der Seitengarbe ist offensichtlich sehr klein; denn die in 3 m Abstand hinter der vordersten Fangscheibe »a« (Bild 4) stehende zweite Scheibe »b« (Bild 5) bringt zum Ausdruck, daß die Breite der Seitengarbe nur unwesentlich größer geworden ist. Bild 4 zeigt deutlich, daß die unter 36¯ (2°) geneigte Granate, obwohl sie vor der Sprengung vollkommen über der Erdoberfläche lag, einen tiefen Sprengtrichter ausgeworfen hat. |
Die Erklärung für diese Tatsache ist darin zu suchen, daß bei kleinerem Fallwinkel die nach unten schlagenden Sprengstücke zunächst den Erdboden aufwühlen. In die aufgewühlte Erde drücken beinahe zu gleicher Zeit die sehr hochgespannten Explosionsgase der Sprengladung nach, und diese bewirken zusammen mit den Splittern das Auswerfen eines verhältnismäßig großen Geschoßtrichters. Beachtlich ist ferner, daß die Masse der Wir-kung dicht über dem Boden nur auf Bild 4 auftritt, während die 3 m weiter entfernte Fangscheibe »b« (Bild 5) deutlich erkennen läßt, daß die Mitte aller Sprengstücke sich schon wesentlich gehoben hat und daher dicht oberhalb des Erdbodens bei insgesamt 7 m Abstand vom Geschoß nur mehr recht mäßige Wirkung zu erwarten ist. |
Vergleicht man mit den besprochenen diejenigen Bilder eines unter 1240¯ (70°) gespreng-ten Geschosses (Bild 6 bis 8) bezüglich der Art der Verteilung der Geschoßsplitter, so ist ohne weiteres sichtbar, daß durch die Seitengarbe des Geschosses, die nicht mehr senk-recht zur Erdoberfläche steht, sondern sich der Horizontalen zuneigt, eine wesentliche breitere Fläche belegt wird (Bild 7 und 8). Die Wirkung reicht von Scheibenbahn 1 bis Scheibenbahn 6; der Schwerpunkt der Splitterwirkung auf der vorderen Scheibe »a« (Bild 7) liegt tief unten, dicht über der Erde. Der Geschoßtrichter ist ganz flach geblieben (Bild 7), denn das Auflockern des Bodens durch die Geschoßsplitter konnte nicht in solchem Maße erfolgen, infolgedessen auch das Nachstoßen der Sprenggase sich nicht so sehr bemerkbar machen. Es kann daher nur ein verhältnismäßig flacher Sprengtrichter entste-hen. Noch geringer wird die Wirkung auf die Erdoberfläche, wenn der Fallwinkel über 1240¯ (70°) beträgt. |
Nun kann gesagt werden, daß bei den geschilderten Sprengungen nicht die Verhältnisse auftreten, die ein verschossenes Geschoß beim Aufschlag vorfindet, und daß daher die Art und Richtung der Geschoßzerlegung anders ist. Dieser Einwurf ist berechtigt und ist deshalb in der zweiten Versuchsserie nachgeprüft worden. |
Bei der zweiten Versuchsserie wurden scharfe Geschosse gegen dieselben Fangscheiben verschossen, wie sie bereits beschrieben sind; aus der Art der Verteilung der Splitter-durchschläge wurde wiederum auf die Form der Geschoßgarbe geschlossen. Die Ver-suchsergebnisse bringen ziemlich genau dasselbe Bild, wie es sich bei den Sprengproben gezeigt hat. |
Daraus ist zu folgern, daß die theoretischen Betrachtungen und die Ergebnisse, wie sie aus Sprengproben gewonnen sind, auch für das praktische Schießen in hohem Maße zu-treffen. Es können auch nur geringe Abweichungen erwartet werden, die dadurch entste-hen, daß die einzelnen Splitter des eingeschlagenen Geschosses eine Eigenbewegung in Richtung der Längsachse des Geschosses nach vorn beibehalten und dadurch die Flug-richtung der Sprengteile etwas ändern. Eine wesentliche Abweichung von der geschilder-ten Art der Geschoßzerlegung wurde nicht gefunden. |
Der Artillerist muß diese Erkenntnis gewonnen haben und von ihrer Richtigkeit durchdrun-gen sein, damit er die richtigen Schlußfolgerungen zieht, die man kurz dahin zu sammen-fassen kann: |
1. |
Jedes Schießen mit Aufschlagzündern (ausgenommen Abprallerschießen) wird sich dann am wirksamsten gestalten, wenn man mit dem größtmöglichen Fallwinkel schießt. Da die Forderung: »kleinstmögliche Ladung für den jeweiligen Gefechts-zweck«, die im Interesse der Schonung der Rohre – lange Lebensdauer – gestellt werden muß, in derselben Richtung liegt, ist ein doppelter Grund vorhanden, dieser gewonenen Erkenntnis gerecht zu werden. |
2. |
Der deutsche Artillerist verfügt über einen hochempfindlichen Zünder und schnellar-beitende Zünderübertragungsmittel, die eine augenblickliche Zerlegung des Ge-schoßes sicherstellen. |